Der renommierte niederländische Architekt Casper Schwarz verbreitet ein neues Konzept, das das Büro zu einem angenehmen Ort macht, wo man nach dem Arbeitstag ein Glas Wein trinken oder sogar Gemüse anbauen kann. In einem längeren Interview spricht Schwartz über die mutige Idee, die während der Pandemie geboren wurde, zögerliche Haltungen und die Zusammenarbeit mit dem estnischen Innenarchitekturunternehmen OCCO, das gerade dabei ist, die Welt zu erobern.
Wie begann Ihre Zusammenarbeit mit OCCO und warum hat Sie dieses Unternehmen fasziniert?
Ich habe OCCO vor etwas mehr als einem Jahr kennengelernt. Ich begann mit der Gestaltung ihres Amsterdamer Büros und wollte ihre Plattform erkunden, um auch in Zukunft zusammenzuarbeiten. Es gibt mehrere ähnliche Plattformen auf dem Markt, auf denen Designer Möbel suchen und auswählen können, aber OCCO unterscheidet sich darin, dass Sie neben der Auswahl der Möbel sofort die Preise sehen können.
Stellen Sie sich vor, dass Sie Innenarchitekt/in sind und ein Projekt im Sinn haben. Sie wählen Decken, Böden und Möbel aus, aber die Preise variieren zwischen 500 und 5000 Euro. Sie treffen Ihre Wahl und Sie werden feststellen, dass Sie Ihr Budget weit überschritten haben. Bei OCCO sehen Sie sofort den Preis und können zusätzlich zwischen verschiedenen Unternehmen wählen. Dies ist eine sehr praktische und besondere Option.
Sie wollen die Kunden doch nicht täuschen: Sie wählen schöne Artikel aus, müssen ihnen aber sagen, dass der Preis doppelt so hoch sein wird. Es fühlt sich also so an, als müsste alles, was der Architekt auswählt, sehr teuer sein, aber das ist nicht der Fall! Das ist völliger Unsinn, denn eigentlich möchte der Architekt für jedes Projekt das passende Produkt finden.
Eine weitere gute Eigenschaft ist, dass es im OCCO-Sortiment verschiedene Hersteller gibt. Sie können auch unter kleineren oder weniger bekannten Anbietern wählen. Manchmal haben gerade sie außergewöhnlich coole Möbel. Von Zeit zu Zeit verändern wir unsere Möbelauswahl gerne durch Projekte und probieren Neues aus. OCCO hat hierzu einen wesentlichen Beitrag geleistet.
Sie haben ein völlig neues Konzept namens Habitoor geschaffen. Warum wurde es benötigt und was ist es?
Der Anlass für die Schaffung des Habitoor war die Coronapandemie. Sie warf ein neues Licht darauf, wie die Arbeitsumgebung und das Büro aussehen sollten. Im Laufe der Jahre war das Büro vor allem ein Ort, an dem viele Menschen zusammenarbeiten können. So wurden die meisten Bürogebäude gebaut oder ausgewählt. Dabei werden insbesondere das Licht, die Akustik, die Raumgestaltung und die Klimatisierung berücksichtigt. Das ist ein systematisches Konzept, das hauptsächlich auf Zahlen basiert.
Die von Habitoor gebrachte Änderung besteht darin, den Menschen, die auch außerhalb des Büros arbeiten können, einen Anreiz zu geben, überhaupt ins Büro zu kommen. Sie kommen nicht, weil sie müssen, sondern weil sie wollen. Bei der Schaffung einer solchen Umgebung muss man aus der Sicht des Einzelnen denken. Erstens, ob man die Kolleg/innen mag und zweitens, in welchen Raum man kommt. Was Sie fühlen, wenn Sie dort ankommen, was können Sie dort tun, ob Sie dieser Ort inspiriert und welche Energie er bietet.
So dachten wir uns, dass wir die Prinzipien eines gewöhnlichen Büros komplett vergessen und etwas ganz anderes schaffen. Habitoor ist wie das Zuhause einer Organisation. Wenn Sie an ein Zuhause denken, gibt es dort keine Gegenstände, die man gewöhnlich im Büro vorfindet. Unser Prinzip ist es, einen Ort zu schaffen, an dem man sich gut fühlt, während man mit den Kolleg/innen zusammen arbeitet, aber auch die Freizeit genießt und sich entspannt.
Was ist denn das Wichtigste bei der Schaffung einer modernen Arbeitsumgebung?
Man muss alles Gewöhnliche vergessen und mit dem Herzen denken, aus einer menschlichen Perspektive. Wenn Sie darüber nachdenken, wie Ihr Traumbüro aussehen würde, glaube ich nicht, dass es wie ein gewöhnliches Büro aussehen würde. Stellen Sie sich vor, wie großartig es wäre, an einem Ort zu arbeiten, an dem Sie ständig Instagram-Selfies oder Bilder Ihres Tages machen möchten. Sie würden sich dort wohlfühlen und vielleicht würden Sie nach der Arbeit mit Ihren Kolleg/innen etwas Zeit verbringen, sich unterhalten und ein Glas Wein trinken.
Welche Möbelstücke müsste es dort geben?
Generell gibt es in der Möbelwelt zwei Richtungen: Büromöbel und Wohnmöbel. Aus irgendeinem Grund sind die Büromöbel sehr einfach – die üblichen Formen und Farben, es gibt kaum Details. Ich weiß nicht, warum es so ist. In einem Büro sitzen die gleichen Leute auf der Couch oder hinter dem Tisch – warum sollte der Bürotisch denn so anders sein? Ich sage nicht, dass es im Büro einen ultrabequemen Sessel geben muss, aber die Büromöbel könnten auf jeden Fall so sein, dass Sie diese Möbel auch gern in Ihrem Zuhause haben möchten.
Kann Habitor überall eingesetzt werden oder gibt es noch Grenzen?
Eine Sache ist, dass Habitoor in jedem Gebäude gebaut werden kann. Sie können beispielsweise ein Büro sogar in einem Bauernhaus einrichten – die Mitarbeiter/innen können nach draußen gehen, ihr eigenes Essen anbauen oder im Wald spazieren gehen. Aber es gibt auch viele andere Arten von Gebäuden, in denen man ein Büro bauen kann – es hängt alles vom Unternehmen und den Menschen ab.
Die Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass ich, wenn ich ein unbekanntes Territorium bekomme, genau überlegen muss, wie ich dort ein Büro aufbaue. Man muss ein Konzept erstellen, das letztendlich als Arbeitsumgebung funktioniert. Außerdem muss bedacht werden, dass wahrscheinlich mehrere Typen von Menschen zusammenkommen, was bedeutet, dass die Umgebung für alle geeignet sein muss. Manche brauchen Stille, manche einen Raum, wo man kreativ sein kann. Wir werden sicherlich auch Fehler machen, wenn wir die Büros von Habitoor einrichten, aber solche Herausforderungen sind meines Erachtens sehr interessant und sie sind interessant zu lösen.
Kann es ein Problem sein, wenn die Menschen sich auf Arbeit zu gemütlich fühlen?
Ich glaube nicht. Zu Hause fühlt sich der Mensch sehr wohl und gemütlich. Wenn nicht, stimmt etwas nicht. Aus der Sicht eines Niederländers gesprochen, habe ich nirgendwo gehört, dass die Leute nicht mehr im Homeoffice arbeiten oder plötzlich faul werden. Es wurde sogar gesagt, dass die Produktivität während der Pandemie gestiegen sei. Ich denke, dass es eine altmodische Denkweise ist, dass der Komfort die Produktivität hemmen würde. Wir leben in einer ehrgeizigen Welt, in der Menschen ihre Arbeit immer besser machen wollen. Der Komfort unterstützt eher den Ehrgeiz.
Sie sehen also den Trend, dass das klassische Büro Geschichte ist oder sich zumindest verändert?
Viele Organisationen wollen Veränderung, sie suchen nach Möglichkeiten und Inspiration dafür. Es gibt einen Wunsch. Gleichzeitig haben sie Angst vor Veränderungen. Wir haben Habitoor-Präsentationen in mehreren Unternehmen gemacht und die Leute sind anfangs immer sehr interessiert, aber als ich schließlich frage, was Sie im Endeffekt darüber denken, stelle ich fest, dass sie immer noch im alten Modell feststecken. Um Barrieren abzubauen, muss man ein Unternehmen finden, das wirklich dafür bereit ist und versteht, warum Veränderungen wichtig sind. Heute ist die Lage so, dass das Interesse besteht, aber der Mut fehlt.
Was würde dazu beitragen, diese Barriere zu überwinden – sollte man Ihre Botschaft besser kommunizieren?
Ja, das ist eine sehr gute Idee. Vor der Pandemie war auch nicht jedes Büro ein typischer und langweiliger Ort. Viele Startups haben für ihre Talente coole Räume geschaffen. Sie wollen nicht wie ältere Großkonzerne arbeiten. Ich sehe, wie die neuen Macher alles mit einer ganz neuen Perspektive beginnen, einschließlich der Einrichtung ihres Büros. Solche Projekte müssen auch anderen vorgestellt und gezeigt werden, was für coole Sachen getan werden können. Dies ist ein Schritt nach vorn.
Wir unsererseits machen Habitoor-Präsentationen und versuchen immer einen Schritt weiterzugehen – wir stellen auch kleine Details vor. Vielleicht bekommen die Menschen dadurch eine bessere Vorstellung davon, warum Veränderungen notwendig sind und wie sie das Gebäude und die Arbeitsumgebung aus einer anderen Perspektive betrachten können. So kann die Gedankenwelt der Menschen Schritt für Schritt verändert werden.